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Schweiz Die EU drückt aufs Tempo, Amherd will lieber Qualität

Ursula von der Leyen will die Verhandlungen mit der Schweiz noch dieses Jahr abschliessen. Bundespräsidentin Amherd bleibt beim Treffen in Brüssel mit Zeitangaben zurückhaltender.

Schweiz Stephan Israel

Schweiz Bundespräsidentin Viola Amherd und Kommissionschefin Ursula von der Leyen farblich abgestimmt. Doch die alten Stolpersteine auf dem Weg zu einem Deal zwischen Bern und Brüssel überschatten die gute Stimmung.

Bundespräsidentin Viola Amherd und Kommissionschefin Ursula von der Leyen farblich abgestimmt. Doch die alten Stolpersteine auf dem Weg zu einem Deal zwischen Bern und Brüssel überschatten die gute Stimmung.

Foto: Olivier Hoslet (Keystone)

Nein, sie hätten sich farblich nicht abgestimmt, sagte Viola Amherd nach dem Treffen mit Ursula von der Leyen. Die Bundespräsidentin und die Kommissionschefin hatten am Morgen gemeinsam den Startschuss für die neuen Verhandlungen gegeben. Beide waren dabei im auffälligen roten Blazer erschienen, farblich passend zur Schweizer Fahne im Hintergrund. Gut möglich allerdings, dass Ursula von der Leyen mit der Farbwahl durchaus einen politischen Akzent setzen wollte. Das hat sie auch schon bei anderer Gelegenheit getan. Eine versteckte Liebeserklärung an die Schweiz?

Mit überbordendem Interesse für die Eidgenossenschaft war Ursula von der Leyen bisher nicht aufgefallen. Das verfahrene Schweiz-Dossier hat sie von ihren Vorgängern geerbt. Viel politisches Kapital schien da lange nicht zu holen zu sein. Lockt ausgerechnet jetzt zum Ende der ersten Amtszeit ein Erfolg? Die Kommissionschefin warb jedenfalls beim gemeinsamen Auftritt für einen Deal mit der Schweiz: «Es ist mir eine Freude, Sie hier in Brüssel begrüssen zu dürfen», sagte Ursula von der Leyen. Heute sei ein wichtiger Tag für die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz. Mit gestärktem Vertrauen wolle man Verhandlungen über eine erneuerte Partnerschaft beginnen, hin zu einer engeren Beziehung.

«Mit Elan weiterarbeiten»

Beide Seiten hätten hart gerungen, um den Neustart möglich zu machen, doch das Ergebnis lasse sich sehen, betont die Kommissionschefin: Es gebe nun ein gemeinsames Verständnis und eine Vertrauensgrundlage, um schnell weitere Fortschritte zu erzielen. Ziel sei es, die Verhandlungen noch in diesem Jahr abzuschliessen. Die Kommissionspräsidentin macht Tempo. Die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU sei einzigartig und verdiene eine Aufwertung. Die Tür sei immer offen gewesen für eine enge Partnerschaft mit der Schweiz, von der beide Seiten profitieren könnten: «Lassen Sie uns das Momentum nutzen und mit Elan weiterarbeiten.»

Auch Viola Amherd sprach davon, jetzt die Arbeit «mit Elan und Engagement» weiterzuführen. Keine Rede allerdings von einem Zieldatum für einen Abschluss, sie war da deutlich zurückhaltender. Beide Seiten seien daran interessiert, rasch zu einem Abschluss zu kommen: «Wenn das noch bis Ende Jahr klappen würde, wäre das natürlich fantastisch.» Das hätte den Vorteil, dass noch mit der aktuellen Kommission abgeschlossen werden könnte, sagte Amherd. Für die Schweiz gehe aber «Qualität vor Tempo».

Streitpunkt Zuwanderung

Die Bundespräsidentin betonte die wirtschaftliche Verflechtung der ungleichen Partner. 1,5 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger lebten zudem in der Schweiz. Es gehe nun darum, der Beziehung die nötige Stabilität zu verleihen und sie zukunftsträchtig zu gestalten. Noch bleibe aber viel zu tun: «Unsere Teams müssen Lösungen finden, die für beide Seiten stimmen.» Für die Schweiz gehe es um den Zugang ihrer Unternehmen zum EU-Binnenmarkt. Lösungen brauche es aber auch für den Lohnschutz und für eine Zuwanderung, die sich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientiere.

Damit war Viola Amherd auch schon beim grössten Streitpunkt, an dem das Rahmenabkommen vor bald drei Jahren scheiterte. Neben den Fragen der Zuwanderung oder des Lohnschutzes wird die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der Streitschlichtung auch jetzt im Fokus sein. Auf Schweizer Seite gibt es vage Hoffnungen, dass Brüssel doch noch einer Art Schutzklausel bei der Personenfreizügigkeit zustimmt. Bisher ein rotes Tuch für Brüssel. Auch beim geplanten Stromabkommen bleibt es kompliziert, es droht Widerstand von beiden Seiten des politischen Spektrums.

Amherd betonte, sie habe Ursula von der Leyen die innenpolitische Lage in der Schweiz geschildert: «Es ist ganz wichtig, dass wir offen miteinander diskutieren und nicht auf Schönwetter machen.» Sie habe deshalb auf die Stolpersteine in der Schweiz hingewiesen. Fraglich, ob das gut angekommen ist. Der Hinweis auf Hürden und Hindernisse dürfte Ursula von der Leyens neues Interesse für die Schweiz rasch wieder abgekühlt haben. Tatsache ist, dass die Kommissionspräsidentin nach den Eingangsstatements und dem kurzen Gespräch mit Viola Amherd dem gemeinsamen Lunch in ihrem Hauptquartier fernblieb. Die Bundespräsidentin musste sich mit Vizepräsident Maros Sefcovic zufriedengeben.

Die alten Stolpersteine

Eigentlich ist man am Sitz der EU-Kommission davon ausgegangen, bei den Sondierungen die wichtigsten Stolpersteine ausgeräumt und den Weg für eine rasche Einigung frei gemacht zu haben. Wobei man in Brüssel die Eigendynamik in der Schweiz genau verfolgt und wahrgenommen hat, dass die Gegner wieder dabei sind, die Deutungshoheit zu übernehmen. Ein Déjà-vu, denn schon beim Rahmenabkommen wurde aus EU-Sicht ein eigentlich fertiger Entwurf in der Schweiz zerredet. Auf die Kampagne der Gegner in der Schweiz angesprochen, betonte Amherd, bei den Konsultationen sei das Echo der parlamentarischen Kommissionen, der Sozialpartner und der Kantone ja mehrheitlich positiv gewesen. Die Gegner seien zwar aktiv, aber der Bundesrat müsse sachlich korrekt und transparent informieren.

Schweiz Bundespräsidentin Viola Amherd ist zu Besuch, die Schweizer Fahne weht vor dem Hauptsitz der EU-Kommission.

Bundespräsidentin Viola Amherd ist zu Besuch, die Schweizer Fahne weht vor dem Hauptsitz der EU-Kommission.

Foto: Alessandro Della Valle (Keystone)

Wobei das Misstrauen in Brüssel seit dem einseitigen Abbruch von 2021 nie ganz weg war. Der Bundesrat kann in Brüssel lange darauf verweisen, dass in der Schweiz am Ende das Volk zustimmen müsse. Ursula von der Leyen hat die Mitgliedsstaaten im Nacken. Diese haben durchgesetzt, dass das EU-Mandat im letzten Moment noch einmal verschärft wurde. Der Schweizer Forschungsplatz kann bei den prestigeträchtigen Ausschreibungen des EU-Forschungsprogramms Horizon Europa ab sofort wieder mitmachen. Wenn bis Ende Jahr beim Gesamtpaket kein Deal in Sicht sein sollte, ist aber gleich wieder Schluss. Die EU gibt zum Neustart der Verhandlungen mit der Schweiz kein Druckmittel aus der Hand.

Stephan Israel ist in Zürich aufgewachsen, hat in Genf Sciences Politiques studiert und ist in Bern in den Journalismus eingestiegen. Er war während der Jugoslawienkriege Korrespondent in Südosteuropa. Seit 2002 schreibt er aus Brüssel über die schwierige bilaterale Beziehung und die Krisen der EU. Mehr Infos

@StephanIsrael

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