Fenster im Flug verloren – mehr als 170 Boeings müssen am Boden bleiben

Mitten im Flug reisst plötzlich ein Kabinenteil einer Boeing 737-9 Max ab. Die Notlandung des Passagierjets von Alaska Air mit 177 Personen an Bord gelingt. Es ist nicht das erste Drama mit dem Flugzeugtyp – und wieder hat es Folgen.

Sauerstoffmasken hängen herab, das abgerissene Fenster ist zu sehen: Diese Boeing 737-9 Max der Alaska Airlines musste notlanden.

Sauerstoffmasken hängen herab, das abgerissene Fenster ist zu sehen: Diese Boeing 737-9 Max der Alaska Airlines musste notlanden.

Kyle Rinker / Reuters

Sie habe einen «richtig lauten Knall» gehört und sofort gespürt, wie ein «heftiger Luftstoss» an ihr vorbeigezogen sei, berichtet eine junge Frau in einem Tiktok-Video. Courtney, so nennt sie sich, war an Bord der Maschine des Flugs 1282 der Alaska Airlines, die am Freitag auf dem Weg von Portland im amerikanischen Gliedstaat Oregon zum Flughafen Ontario in Kalifornien, östlich von Los Angeles, war, als kurz nach dem Start ein Kabinenteil samt Fenster aus der Maschine gerissen wurde. Fotos, die Passagiere im Internet posteten, zeigten ein grosses Loch, das an der Seite der betroffenen Sitzreihe in der Flugzeugwand klafft.

Courtney sagt, sie habe weiter vorne im Flugzeug gesessen und nichts von dem Loch in der Kabinenwand gesehen. Sie habe instinktiv die Sauerstoffmaske aufgesetzt, die sofort aus der Kabinendecke geschossen kam. «Keiner hatte eine Ahnung, was los war, aber wir haben genug Filme und Sicherheitseinweisungen gesehen, um zu wissen, dass man die Masken besser gleich aufsetzt», erzählt sie weiter.

Der Sitz direkt neben dem Fenster sei unbesetzt gewesen, ein Jugendlicher auf dem Mittelsitz habe Prellungen vom plötzlichen Druckabfall davongetragen, weitere Passagiere seien leichter verletzt worden, aber keiner so, dass er ins Spital gemusst habe. Das teilte die Fluggesellschaft Alaska Airlines nach dem erschreckenden Vorfall mit. Sie nannte auch die Ursache für den Fensterfall: Eine sogenannte «plug door» sei herausgerissen worden. Ein Wandteil, das dort eingebaut wird, wo herstellerseitig ein Notausgang vorgesehen war, der in der Kabinen-Ausführung aber nicht benötigt wurde. Warum sich ein solches Bauteil abgelöst haben könnte, war zunächst unklar. Der Firmenchef Ben Minicucci sagte: «Mein Mitgefühl gilt denen, die auf diesem Flug waren – es tut mir so leid, was Sie erlebt haben.»

Mehrere Passagiere berichteten US-Medien, sie hätten deswegen Todesängste ausgestanden. Kurz nach der Pilotendurchsage, dass eine Flughöhe von etwa 3000 Meter erreicht worden sei, habe es ein explosionsartiges Geräusch gegeben, berichteten Reisende, die in der Reihe hinter dem plötzlich klaffenden Loch sassen, dem «Wall Street Journal». Persönliche Gegenstände seien durch die Öffnung gesogen worden, mehreren Passagieren sei das Handy aus der Hand gerissen worden.

Nach dem Zwischenfall hat die US-Luftfahrtbehörde FAA ein vorübergehendes Startverbot für mehr als 170 Maschinen des betroffenen Typs Boeing 737-9 Max angeordnet. Die Behörde teilte am Samstag mit, es seien sofortige Inspektionen bestimmter Exemplare dieses Modells nötig, die jeweils etwa vier bis acht Stunden in Anspruch nähmen. Erst danach könnten die Jets wieder in Betrieb gehen. Dies gilt für Maschinen, die von US-Fluggesellschaften betrieben werden oder auf amerikanischem Territorium unterwegs sind – weltweit 171 Flugzeuge.

Alaska Airlines kündigte an, vorerst alle ihre Maschinen des Typs 737-9 Max am Boden zu halten und die insgesamt 65 Flugzeuge einer gründlichen Wartung und Sicherheitsprüfung zu unterziehen. Jedes Flugzeug werde erst nach abgeschlossener Inspektion wieder in Betrieb genommen. Am Samstag teilte die Airline mit, ein Viertel der betroffenen Maschinen sei bereits gewartet worden, ohne dass man dabei auf Auffälligkeiten gestossen sei. Nach der FAA-Anordnung müssen nun auch Maschinen anderer Gesellschaften genauer geprüft werden, bevor sie starten dürfen. Die Flugunfallbehörde NTSB untersucht den Fall.

346 Todesopfer vor zwei Jahren

Anders als beim glimpflichen Ausgang am Freitag hatten zwei Notfälle in den Jahren 2018 und 2019 katastrophale Folgen. Zwei Abstürze mit Maschinen der 737-Max-Reihe von Boeing führten zu insgesamt 346 Todesopfern und zu einem Startverbot der Baureihe. Als Hauptursache für beide Unglücke galt ein fehlerhaftes Steuerungsprogramm, das die Maschinen zum Boden lenkte. Boeing überarbeitete daraufhin den Typ und erlangte nach und nach Wiederzulassungen. Mit Produktionsmängeln sorgte der Mittelstreckenjet allerdings weiter für Schlagzeilen und belastete die Bilanzen des Herstellers.

Erst in der letzten Woche des vergangenen Jahres hatte es den letzten Vorfall mit dem US-Flugzeugbauer gegeben: mit einem Bolzen im Ruderkontrollsystem der 737-Max. Die FAA hatte die Betreiber jüngerer Einzelgang-Flugzeuge dringend dazu aufgefordert, bestimmte Spurstangen zur Kontrolle von Ruderbewegungen auf den Verlust von Teilen zu untersuchen. Einer internationalen Fluggesellschaft war zuvor im Rahmen einer Routinewartung eine fehlende Schraubenmutter an einem Bolzen aufgefallen.

Inwiefern Boeing für den Zwischenfall mit der Maschine von Alaska Airlines verantwortlich sein könnte, wird nun untersucht. «Wir stimmen der Entscheidung der FAA zu und unterstützen sie voll und ganz, sofortige Inspektionen von 737-9-Flugzeugen mit der gleichen Konfiguration wie jener in dem betroffenen Flugzeug zu verlangen», sagte eine Boeing-Sprecherin am Samstag.

Der besagte Jet landete schliesslich sicher nach 20- bis 30-minütigem Flug, der sich laut Passagier-Aussagen «etwas flatterig» angefühlt habe, wieder auf dem Flughafen in Oregon, wo die Maschine gestartet war.

«Es war eine sanfte Landung», berichtet die Passagierin Courtney in ihrem Tiktok-Video weiter. Trotzdem hätten ausnahmslos alle Passagiere geklatscht, als das Flugzeug am Boden zum Stehen kam. «Und es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich es total okay fand, nach einer Landung zu klatschen.»

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