Gut für China

Die Strategie „Wandel durch Handel“ hat in Ländern wie China erheblich zu Wohlstand und Armutsminderung beigetragen. Auch im exportorientierten Deutschland stand „Wandel durch Handel“ außenpolitisch und entwicklungspolitisch hoch im Kurs. Waren mit der Idee zu hohe Erwartungen verbunden?

Was ist die Idee von „Wandel durch Handel“? 

„Wandel durch Handel“ ist ein Konzept, das besagt, dass wirtschaftliche Verflechtungen durch den Austausch von Waren, Gütern und Dienstleistungen überwiegend positive Auswirkungen auf den Wohlstand und die Reduzierung absoluter Armut haben können. Darüber hinaus kann es politische Annäherungen begünstigen. Die Idee dahinter ist, dass enge Handelsbeziehungen und damit verbundene gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten dazu beitragen können, politische Konflikte in konstruktive Bahnen zu lenken. Staaten, die miteinander Handel treiben und davon profitieren, werden versuchen, kriegerische Auseinandersetzungen eher zu vermeiden, um nicht erhebliche wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.

In Deutschland wird „Wandel durch Handel“ oft im Zusammenhang mit „Wandel durch Annäherung“ genannt. Dieses Konzept wurde von Egon Bahr formuliert und hat in der Bundesrepublik Deutschland während des Kalten Krieges politische Diskurse geprägt. „Wandel durch Annäherung“ war die Grundlage für die Entspannungspolitik der seit 1969 regierenden sozialliberalen Koalition aus SPD und FDP, anfangs gegen den Widerstand der CDU. Auch in der deutschen Entwicklungspolitik kommt das Konzept „Wandel durch Handel“ zum Tragen. Allerdings haben sich diejenigen (früheren) entwicklungspolitischen Partnerländer Deutschlands, die sich politisch z.T. vom Westen abgewandt haben, niemals stärker in die Weltwirtschaft integrieren können.

Welche Beispiele gibt es, wie zunehmender Handel zu Wandel geführt hat? 

Zunehmender Handel hat in vielen Teilen der Welt zu bedeutenden Veränderungen geführt. Ein prominentes Beispiel ist der Wohlstand und die Reduzierung der Armut in vielen Schwellenländern, insbesondere in Asien. Dies ist auf die Globalisierung und die damit verbundene Exportorientierung der Volkswirtschaften zurückzuführen. Allerdings hat dieser Prozess auch zu einigen Verwerfungen geführt und in einigen Fällen sogar Armut erzeugt.

Ein weiteres Beispiel ist die Entstehung und Entwicklung der Europäischen Union, die maßgeblich durch die Verstärkung von Handelsbeziehungen zwischen den heutigen Mitgliedsstaaten vorangetrieben wurde. Ursprünglich lag der Fokus auf der Konsolidierung der wirtschaftlichen Integration in Europa. Mit der Einführung des gemeinsamen Binnenmarkts und der Einführung des Euro im Jahr 2002 hat sich der Handel zwischen den EU-Staaten weiter vertieft. Dies hat auch die politische Entwicklung der europäischen Idee und die Konsolidierung neuer Institutionen und Zuständigkeiten begünstigt. Heute sind viele Errungenschaften, wie kostenfreie Anrufe über Landesgrenzen hinweg oder Normierungen im Produktbereich, selbstverständlich. Sie wurden jedoch durch eine europapolitisch begleitete Intensivierung des Handels und der wirtschaftlichen Integration ermöglicht. Aktuell steht die EU vor der Herausforderung, sich durch eine geeignete Handelspolitik mit anderen Regionen und Staaten wirtschaftlich, klimapolitisch und geopolitisch gut aufzustellen.

Wie hat die Strategie „Wandel durch Handel“ zur Armutsbekämpfung in Ländern wie China beigetragen?

Die Strategie „Wandel durch Handel“ hat in Ländern wie China erheblich zur Armutsbekämpfung beigetragen. Seit Ende der 1970er Jahre hat China durch die Förderung und Liberalisierung der Privatwirtschaft, die Öffnung für ausländische Investitionen und verstärkten Handel ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum erzielt. Dieses Wachstum, das durch den Beitritt zur Welthandelsorganisation im Dezember 2001 verstetigt wurde, führte zu mehr Arbeitsplätzen und Einkommensmöglichkeiten für die Bevölkerung, insbesondere in den städtischen Zentren.

Insgesamt hat die Strategie „Wandel durch Handel“ dazu beigetragen, China zu einer der größten Volkswirtschaften der Welt zu machen und Millionen von Menschen aus der Armut zu heben. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass diese Strategie auch Herausforderungen mit sich bringt, wie die zunehmende Ungleichheit und Umweltprobleme. Jede Volkswirtschaft muss ihre eigene Strategie entwickeln, um wirtschaftliche Erfolge zu erzielen. Der Ausbau der Handelsbeziehungen muss sich an strukturellen Faktoren der einheimischen Wirtschaft und an globalen Trends und Opportunitäten orientieren.

Ohne intensive Handelsbeziehungen zu anderen Staaten werden Volkswirtschaften jedoch kaum florieren können. Im Gegenteil, sie koppeln sich damit auch von den globalen Megatrends ab und leisten im eigenen Land dem Nationalismus Vorschub, der ein Nährboden für Ressentiments, innenpolitische und außenpolitische Konflikte ist.

Warum ist die Idee „Wandel durch Handel“ zunehmender Skepsis ausgesetzt? 

Es gab schon immer Kritik an dem Konzept „Wandel durch Handel“. Die zunehmende Verflechtung einer Volkswirtschaft mit globalen Märkten macht diese für externe Schocks anfälliger. Der Einfluss der nationalen Politikgestaltung schwindet. Externe Schocks waren z.B. die Finanzkrise von 2008 und die COVID-19-Pandemie, die der Globalisierung für einige Jahre einen Dämpfer verpassten.

Der verstärkte Handel und die Öffnung der Märkte können auch zu Arbeitsplatzverlusten in Sektoren führen, die nicht mit der internationalen Konkurrenz mithalten können. Trotz vieler Jahrzehnte mit großer Globalisierungsdynamik ist in den letzten Jahren die Zahl der autoritär regierten Staaten gestiegen. Solche Entwicklungen werden von fast allen internationalen politischen Indizes festgestellt, die Demokratie, gute Regierungsführung und Partizipation messen, darunter der von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichte Transformationsindex.

Hier scheint sich ein Widerspruch aufzutun. Das Niveau des Waren- und Güteraustauschs und der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten ist weiter hoch, aber die politischen Krisen haben sich verstärkt. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Deutschland die Schattenseiten der Abhängigkeit von russischen Energieimporten vor Augen geführt. Die politischen Erfahrungen mit Russland und seinem Angriffskrieg sollten jedoch nicht auf andere Staaten übertragen werden, auch nicht auf China, mit dem Deutschland ganz andere Handelsbeziehungen als mit Russland hat.

Gibt es bessere Strategie als Handelsbeziehungen, um Frieden und politischen Wandel zu befördern? 

Ist eine wirtschaftliche Abkopplung für Deutschland oder die EU, oder ein De-Risking mit bestimmten Staaten und Regionen die richtige Lösung, um Frieden und politischen Wandel in anderen Staaten zu befördern? In den meisten Fällen haben sich, historisch betrachtet, die politischen Fronten bei abnehmendem Handelsbeziehungen eher verhärtet und Konflikte keineswegs beilegen können. In der Regel werden die eigenen wirtschaftlichen Abhängigkeiten unterschätzt und die politische Wirkung von Abkopplung und Sanktionen auf andere Staaten überschätzt.

Allerdings ist dies abhängig von der Größe und den Wirtschaftsstrukturen des entsprechenden Landes, der eigenen wirtschaftlichen Resilienz und geopolitischen Allianzen. Bundeskanzler Scholz ist bei seinem letzten Besuch in China pragmatisch aufgetreten. Es wäre in der Tat vermessen zu glauben, dass sich eine Entflechtung der deutschen und der chinesischen Wirtschaft positiv auf die bilateralen Beziehungen auswirken würde und sich dadurch China den deutschen Interessen politisch annähern würde.

Das heißt allerdings nicht, dass Handelsbeziehungen mit zu großen politischen Erwartungen verbunden sein sollten. Handelsbeziehungen zu pflegen kann jedoch dazu beitragen, einem wirtschaftlichen wie politischem Nationalismus auf beiden Seiten Einhalt zu gebieten. Und das ist ein Gebot der Stunde, in den Beziehungen Deutschlands zu den USA und zu China. Als exportorientierte Volkswirtschaft ist Deutschland auf Handel angewiesen.

.

spot_imgspot_img

Subscribe

Related articles

Apples neues iPad Pro hat einen versteckten Vorteil

© Screenshot iFixit Produkte 19.05.2024 Die Reparatur-Plattform iFixit hat das neue iPad Pro mit M4-Chip auseinandergenommen und eine überraschende Neuerung entdeckt. Apples neues iPad Pro hat eine große Neuerung, die Reparaturen enorm erleichtern dürfte. Das zeigt ein neues Video der Reparatur-Plattform iFixit. Sie nahmen das kürzlich präsentierte iPad Pro (13 Zoll) mit dem neuen M4-Prozessor

Mit Display im Helm: SpaceX zeigt erstmals den neuen Raumanzug

Home News Future & Science SpaceX hat einen neuen Raumanzug vorgestellt. Er ist speziell für Außeneinsätze der Astronauten konzipiert. Irgendwann will das Unternehmen Millionen davon herstellen. Das hat einen Grund. Das ist der Helm für den neuen Anzug von SpaceX. (Foto: SpaceX) Elon Musks Raumfahrtunternehmen SpaceX hat kürzlich neue Raumanzüge vorgestellt. Die sind speziell entwickelt

Ergebnisse des ESC 2024: TV-Zuschauer wollten anderen Sieger

Voting-Ergebnisse des ESC 2024 in Schweden: TV-Zuschauer wollten anderen Sieger Beim ESC setzen sich die Punkte aus der Jury- und der Publikumswertung zusammen. Nemo hat für die Schweiz gewonnen – doch haben die Zuschauer den Act auch an erster Stelle gesehen? Malmö – Am 11. Mai gewann Nemo (24) aus der Schweiz das Finale des

Ex-Rapidler Schwab und Murg feiern mit PAOK Meistertitel

© REUTERS / KAI PFAFFENBACHThomas Murg (rechts) Für den griechischen Spitzenklub ist es die erste Meisterschaft seit fünf Jahren. Vorentscheidend war ein Derbysieg. 19.05.24, 21:53 Die Österreicher Stefan Schwab und Thomas Murg haben sich mit PAOK Saloniki zum griechischen Fußball-Meister gekrönt. PAOK gewann am Sonntag auswärts das Derby gegen Aris Saloniki mit 2:1 und schloss

Suche nach Absturz läuft: Irans Präsident Raisi offenbar in Lebensgefahr

Im Iran herrscht Unklarheit über das Schicksal des mit einem Hubschrauber abgestürzten Präsidenten Ebrahim Raisi. Am Sonntagabend berichtete das staatliche Fernsehen, die Maschine des Präsidenten sei gefunden worden. Unmittelbar danach meldete das Fernsehen jedoch, der Rote Halbmond habe Berichte dementiert, wonach das Wrack gefunden worden sei.  Details zu den Angaben wurden zunächst nicht berichtet. Neben
spot_imgspot_img

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein